Profitieren Leber und Lunge bei CF von Cholin als Nahrungsergänzung?

ppFEV1 +8 Prozentpunkte nach 84 Tagen!

Keine Zeit? Hier der Link zu den allerwichtigsten Infos und dem Fulltext der Studie.

Nachtrag vom 03.07.2019: Wir bitten zunächst um freundliche Beachtung der heutigen Stellungnahme der Autoren unten zitierter Studie:

Stellungnahme zur Cholin-Behandlung von Mukoviszidose-Patienten im Rahmen individueller (Selbst-) Heilversuche

  1. Die Autoren der von der DCFH – Deutsche CF-Hilfe e.V.[1] zitierten Publikation[2] nehmen die Medienwirksamkeit & Resonanz auf ihre Arbeit wahr, übernehmen aber keine Verantwortung für die Konsequenzen unangemessener Anwendungen in unkontrollierten (Selbst-)Heilversuchen. Dem eigenverantwortlichen Interesse der Mukoviszidose-Patienten bzw. ihrer Eltern an einer Cholinbehandlung außerhalb klinischer Studien wollen wir jedoch Rechnung tragen.
  2. Cholin ist ein essentieller Nährstoff, rechtlich jedoch ein Nahrungsergänzungsstoff und darf von jeder geschäftsfähigen Person eigenverantwortlich erworben und eingenommen werden. Durch die klinische Wirksamkeit in der wirksamen Dosis von 2200mg/Tag wird Cholin allerdings formal zum Arzneimittel.
  3. Einzelheilversuche mit Cholinsupplementierung erfordern die Anbindung an eine Mukoviszidose-Ambulanz. Notwendig sind (1) dezidierte Kenntnis des Patienten, (2) Verständnis des Cholinstoffwechsels und seiner klinischen Bedeutung, (3) serologische Analytik und Analytik des Cholinstatus vor und während der Behandlung sowie (4) Anleitung über die korrekte Art der Einnahme. Dies ist für potentiellen Erfolg, Vermeidung von „adverse effects“ durch falsche Einnahmetechniken (unverdünnt, keine Verteilung über den Tag) und die Dokumentation notwendig.
  4. Zentrale, von einem Cholinmangel potentiell betroffene Organe sind Leber und Lunge. Bei Mukoviszidose-Patienten mit exokriner Pankreas-Insuffizienz ist der Cholinbedarf erhöht, weil diese Patienten vermehrt Cholin mit dem Stuhl ausscheiden. Es gibt jedoch Faktoren des „Genetischen Hintergrunds“ in Form sogenannter „Single Nucleotide Polymorphismen“ (SNP), die die Schwere des Cholinmangels bei Mukoviszidose-Patienten wahrscheinlich mitbestimmen.
  5. Die Ergebnisse der Anwendung (3x1g Cholinchlorid entsprechend 2200mg Cholin, verteilt über den Tag zu den Mahlzeiten) beziehen sich auf erwachsene Mukoviszidose-Patienten mit homo- oder heterozygoter F508del-Mutation. Zur Behandlung von Kindern liegen den Autoren bislang keine Daten zum Effekt auf Lunge und Leber vor.
  6. Andere Cholinverbindungen, Konzentrationen der Lösung, Kapseln, Dosierung und Anwendungsarten sind bislang nicht geprüft und daher nicht empfohlen.
  7. Die Autoren der genannten Publikation1, obwohl sie im Einzelfall Behandlungen durchführen, favorisieren die Prüfung in prospektiven randomisierten Studien, damit die Cholinbehandlung nach den Regeln der evidenzbasierten Medizin umsetzbar werden kann.

Wolfgang Bernhard
Apl. Prof. Dr. med. Dr. rer. physiol.
Facharzt für Physiologie, Oecotrophologe
Stoffwechsel- & Entwicklungsphysiologie
Klinik für Kinder- & Jugendmedizin, Abt, IV
Calwerstr. 7, 72076 Tübingen
wolfgang.bernhard@med.uni-tuebingen.de

Ute Graepler-Mainka
Dr. med.
Fachärztin für Kinderheilkunde
Mukoviszidose-Ambulanz
Klinik für Kinder- & Jugendmedizin, Abt, I
Hoppe-Seyler-Str. 1, 72076 Tübingen
ute.graepler-mainka@med.uni-tuebingen.de

Andreas Hector
Dr. med.
Facharzt für Kinderheilkunde
Mukoviszidose-Ambulanz
Klinik für Kinder- & Jugendmedizin, Abt. I
Hoppe-Seyler-Str. 1, 72076 Tübingen
andreas.hector@med.uni-tuebingen.de

[1] https://www.dcfh.de/profitieren-leber-und-lunge-bei-cf-von-cholin-als-nahrungsergaenzung/

[2] Bernhard W, Lange R, Graepler-Mainka U, Engel C, Machann J, Hund V, Shunova A, Hector A, Riethmüller J. Choline Supplementation in Cystic Fibrosis-The Metabolic and Clinical Impact. Nutrients. 2019 Mar 18;11(3). pii: E656. doi: 10.3390/nu11030656

Nun geht’s los – mit einer Vorbemerkung

Vorbemerkung: Laut den Autoren ist ein niedriger Cholinspiegel bei CF-Patienten in der Pankreasinsuffizienz begründet. Patienten also, die keine Enzyme benötigen, dürften dann von einer Nahrungsergänzung mit Cholin nicht profitieren.

Wer nun bei etwaigen Selbstversuchen (3x1g pro Tag, die Studie ging 84 Tage lang, also werden rechnerisch ca. 250g benötigt) mit frei verkäuflichen Cholinformulierungen die Studienbedingungen erfüllen möchte, sollte darauf achten, nicht auf das üblicherweise vertriebene Cholinbitartrat zurückzugreifen, sondern auf das Cholinchlorid, etwa dieses hier: Cholinchlorid bei Medizinfuchs (100g für ca. 38 EUR, Stand 08.04.2019, am 09.04.2019 jedoch nicht mehr verfügbar).*

Die Rainfarn-Apotheke in München bietet nach mehrfach bestätigten Berichten für ca. EUR 140,— die Menge von 270g reinem Cholinchlorid gelöst in der gleichen Menge Aqua conservans an. Diese zusammen 540ml reichen dann für eine erwachsene Person für 90 Tage à 3 Gaben à 2 ml aus (90x3x2ml=540ml)

Wichtig: Aus guten Gründen wurden in der zitierten Studie diese Gaben verdünnt in Saft zu einer Mahlzeit genommen! 

Die Ergebnisse der Studie muss man schon als sensationell betrachten: bei den 10 Versuchspersonen erhöhte sich die durchschnittliche ppFEV1 von 70% auf 78,3% und der Anteil an Fett in der Leber halbierte sich fast von durchschnittlich 1,58% auf 0,84% – Fett hat ja in der gesunden Leber nichts zu suchen. Ein wirklicher Wermutstropfen ist da, dass die Studie offen war, also nicht (doppelt-)verblindet und placebokontrolliert.

Am Gründonnerstag, den 18.04.2019 führten wir ein ausführliches und offenes Gespräch mit dem Studienkommunikator, Apl.Prof. Dr. med. Dr. rer. physiol. Wolfgang Bernhard in den Räumlichkeiten der Neonatologie an der Medizinischen Universität Tübingen. Einer seiner Tätigkeits- und Forschungsschwerpunkte ist die bedarfsgerechte Ernährungsergänzung zu früh geborener Babys. Über dieses Gespräch berichten wir in der nächsten Zeit.

________
*Zur Frage, was er von Cholinbitartrat statt Cholinchlorid halten würde, antwortete er, er hätte da gewisse Bedenken, die allerdings noch weder wissenschaftlich bestätigt noch widerlegt seien: aufgrund seiner chemischen Eigenschaften könne das Bitartrat unter Umständen Komplexe mit bestimmten anderen wichtigen Nährstoffen bilden, deren Aufnahme hierdurch evtl. verschlechtert sein könnte.

Übersichten mit Quellenangaben zu Cholin

Vitalinstitut.net: Übersicht mit Informationen und Studien zu Cholin.

riseon.org: Was ist Cholin? Mehr Leistung & Gesundheit durch diesen Nährstoff. 

Der englischsprachige Fulltext der unten zitierten Studie findet sich hier.

Diesem Text ist auch zu entnehmen, wie die Studie am Patienten durchgeführt wurde: die Tübinger Uni-Apotheke hat für jeden der 10 Teilnehmer ca. 90 Flaschen zu je 14ml Sterilwasser + darin aufgelöste 3.500mg Cholinchlorid bereitgestellt. Die Teilnehmer sollten dann mit einer Einmalspritze dreimal am Tag je 4ml aus diesen Flaschen ziehen und diese in Saft auflösen. Den Saft sollten sie zu den Mahlzeiten trinken. Da nur 12 (3×4) der 14ml verwendet wurden, kommt es zu den ca. 3.000mg pro Tag. Man hat dann telefonisch und auch durch Kontrolle der benutzten und nicht benutzten Flaschen beim 5. und 6. Ambulanzbesuch sichergestellt, dass die Studienbedingungen von den Patienten so eingehalten wurden.

Daraus ergibt sich, dass man im Prinzip auch je 1g Pulver auf einer Präzisionswaage abwiegen könnte und die direkt in Saft auflösen und trinken könnte, das dreimal täglich. 

Wir möchten hier gerne noch folgenden Beitrag aus einer Facebookgruppe zum Thema Selbstversuche zur freundlichen Beachtung empfehlen:

Ich denke, es macht Sinn, wenn man einen Selbstversuch etwas systematisch unternimmt:
1. Eine Lungenfunktionsmessung wenige Tage oder direkt vor der 1. Einnahme und

2. eine Lungenfunktionsmessung gegen Ende der 3 Monate (aber unbedingt noch während der Einnahme, da der Blutspiegel und die Wirkung sonst evtl. nicht mehr vorhanden sind).

Nur so wird man die Wirkung realistisch einschätzen können. Im Idealfall verändert man in den drei Monaten möglichst wenig bis nichts an seiner Medikation / Therapie.

Eine Bitte noch: Vermutlich werden jetzt viele ihre CF Docs auf diese Studie und Choline ansprechen. Dazu am besten die Studie (16-seitige PDF) ausdrucken und mit in die Ambulanz nehmen und darauf verweisen, dass auch Prof. Joachim Riethmüller aus Tübingen daran beteiligt war. Er dürfte allen Kollegen ein Begriff sein.

Seid bitte so lieb und berichtet hier, wie Eure Docs darauf reagieren. Sind sie offen für einen Versuch oder wischen sie es vom Tisch (😠), welche eigenen Infos haben die Docs, etc.

Quelle / Übersetzung ohne Gewähr

Studie zeigt: Cholin-Supplementierung verbessert Lungenfunktion und Lebergesundheit bei CF-Patienten

Die Cholin-Supplementierung verbessert die Lungenfunktion und die Lebergesundheit bei Menschen mit Mukoviszidose (CF) und sollte als ergänzende Behandlung zu den derzeitigen Standardtherapien erwogen werden, so eine Studie.

Die Ergebnisse der Studie „Choline Supplementation in Cystic Fibrosis – The Metabolic and Clinical Impact“ wurden in der Zeitschrift Nutrients veröffentlicht.

CF ist eine genetische Störung, die durch Mutationen im CFTR-Gen verursacht wird, das den Plan zur Herstellung des CFTR-Proteins (cystic fibrosis transmembrane conductance regulator) liefert.

Dieses Protein fungiert als Kanal, der elektrisch geladene Moleküle wie Chlorid in und aus den Zellen transportiert, die einen direkten Einfluss auf die Regulierung des Wassertransports und die Produktion von Schleim in den Atemwegen der Lunge und anderen Organen haben. Bei Patienten mit CF ist der Ionentransport beeinträchtigt, was zu einer Ansammlung von Flüssigkeit in der Lunge und anderen Organen führt.

Frühere Studien hatten berichtet, dass Menschen mit CF einen essentiellen Nährstoff namens Cholin fehlen, hauptsächlich aufgrund einer übermäßigen Ausscheidung des Nährstoffs im Stuhl, die durch eine Pankreasinsuffizienz ausgelöst wird.

Dieser vitaminähnliche Nährstoff wird für die Produktion von Leber-Phosphatidylcholin (PC, ein Bestandteil der Zellmembranen) und anderen für die Leberfunktion wichtigen Elementen benötigt. Es ist bekannt, dass bei CF-Patienten ein niedriger Cholinspiegel im Plasma direkt mit Lungenfunktionsstörungen und Lebererkrankungen verbunden ist.

Forscher der deutschen Eberhard-Karls-Universität und ihre Mitstreiter hatten sich vorgenommen, die Auswirkungen oraler Cholinpräparate auf die Lungenfunktion und die Lebergesundheit bei einer Gruppe von Patienten mit CF zu untersuchen (NCT03312140).

Zehn männliche CF-Patienten (im Alter von 18 bis 45 Jahren) mit unterschiedlichen CFTR-Mutationen wurden zwischen November 2014 und Januar 2016 für die Teilnahme an der Studie rekrutiert. Sie alle erhielten 1g oral zugeführtes Cholinchlorid dreimal täglich für 84 Tage.

Die klinischen Daten der Patienten, einschließlich der Plasmaspiegel von Cholin und PC, der Lungenfunktion (gemessen an Spirometrieparametern) und der Lebergesundheit (gemessen an der Menge des durch die Magnetresonanzspektroskopie nachgewiesenen Leberfetts) wurden vor und nach der Behandlung bewertet. Zu den Spirometrieparametern gehörten die forcierte Vitalkapazität (FVC), der Prozentsatz des vorhergesagten forcierten Exspirationsvolumens in einer Sekunde relativ zu FVC (ppFEV1) und der forcierte Exspirationsdurchfluss bei 25-75% des Lungenvolumens (FEF 25-75).

Orale Supplementierung erhöhte signifikant die Cholinwerte im Plasma nach 84 Tagen Behandlung im Vergleich zu den Ausgangswerten – 10,5 vs. 4,8 μmol/L. Dagegen blieben die PC-Plasmaspiegel nach der Behandlung mit oralen Nahrungsergänzungsmitteln unverändert.

Die experimentelle Therapie verbesserte auch die Lungenfunktion, was sich in einem signifikanten Anstieg von ppFEV1 von 70% auf 78,3% sowie in Verbesserungen von 5,4% und 7,6% bei FVC und FEF 25-75 niederschlug. Die Gesundheit der Leber verbesserte sich ebenfalls, mit einer signifikanten Verringerung der Fettmenge in der Leber vor (1,58%) und nach der Behandlung (0,84%).

„Die Cholin-Supplementierung normalisiert die verminderte Konzentration von Plasmacholin, (….) verbessert die Lungenfunktion und die [Fettleber] bei diesen Patienten, ergänzend zur Standardbehandlung und möglicherweise anderen therapeutischen Innovationen“, sagten Forscher. „Die Relevanz von Cholin als essentieller Nährstoff“ für die normale Gewebefunktion und das normale Wachstum sowie den normalen Körperstoffwechsel “ spricht für eine Ergänzung bei Kindern“, fügten sie hinzu.

Forscher berichteten auch, dass die Cholinspiegel im Plasma der Patienten innerhalb von 60 Stunden, nachdem die Patienten ihre letzte Dosis an oralen Nahrungsergänzungsmitteln eingenommen hatten, auf die Ausgangswerte sanken, was auf eine schnelle Entfernung von Cholin aus dem Körper schließen lässt.

„Die schnelle Rückkehr von Plasmacholin zur Basiskonzentration deutet auf weitere Anstrengungen hin, um die [therapeutische Formulierung] von Cholin zu optimieren und die Dauer der klinischen Verbesserungen in randomisierten Studien zu beurteilen“, sagten sie.

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