Stellungnahme der Deutschen CF-Hilfe zur Impfpriorität für Patient*innen mit seltenen Vorerkrankungen

Gleiches Recht für die vergessenen Seltenen Erkrankungen

Die Gesundheit von Menschen mit Seltenen Erkrankungen ist nicht weniger wert als die Gesundheit von Menschen mit häufigen Krankheiten. Trotzdem werden Seltene Erkrankungen in der gültigen Coronavirus-Impfverordnung systematisch ausgespart. Die Betroffenen sind von einem Anspruch auf Impfung mit Priorität ausgeschlossen.

Es gibt aber Seltene Erkrankungen, bei denen eine zusätzliche Infektion mit SARS-CoV-2 ein stark erhöhtes Risiko für einen schweren oder tödlichen Verlauf bei den Betroffenen mit sich bringt.

Da die betroffenen Gruppen klein sind, liegen für sie gegenwärtig nur limitierte Daten zum Verlauf einer Covid-19 Erkrankung vor. Beispielsweise zeigen aber die Daten zu der schwerwiegenden Lungenerkrankung Mukoviszidose eine klare Häufung schwerer Verläufe. Für diese und andere hoch vulnerable Gruppen muss der zeitnahe Zugang zu einer Schutzimpfung gegen das Coronavirus ermöglicht werden.

Der Bundesminister für Gesundheit ist aufgerufen, die Coronavirus Impfverordnung zu korrigieren. Notfalls muss der Gesetzgeber selbst tätig werden, um bei der Entscheidung über die Impfprioritäten den verfassungsmäßig garantierten Grundsatz der Gleichbehandlung durchzusetzen.

Gleiche Gefährdungslage begründet gleichen Impfanspruch

Die STIKO nennt als erstes von vier Impfzielen, dass schwere COVID-19-Verläufe (Hospitalisierung) und Todesfälle verhindert werden sollen. Das RKI hat daher eine systematische Auswertung wissenschaftlicher Veröffentlichungen vorgenommen. Auf dieser Grundlage hat die STIKO Beispiele für sensible Vorerkrankungen aufgelistet. Sie betont dabei, dass es nicht möglich ist, alle relevanten Gruppen einzeln aufzuführen. Wörtlich heißt es in der aktualisierten STIKO-Empfehlung: Dies betrifft z.B. Personen mit seltenen, schweren Vorerkrankungen, für die bisher zwar keine ausreichende wissenschaftliche Evidenz bzgl. des Verlaufs einer COVID-19-Erkrankung vorliegt, für die aber ein erhöhtes Risiko angenommen werden kann[1]. Deshalb plädiert die STIKO für eine Umsetzung, bei der auch einzelne Personen oder Gruppen, die nicht ausdrücklich genannt sind, in die Kategorien für die Priorität aufgenommen werden können.

Die Coronavirus-Impfverordnung des Bundesministers für Gesundheit trägt dem nicht Rechnung. Sie räumt eine Impfpriorität ausschließlich für ausdrücklich genannte Vorerkrankungen ein. Alle Vorerkrankungen, die nicht genannt sind, bleiben unberücksichtigt. Selbst wenn mit ihnen ein hohes Risiko für einen schweren COVID-19-Verlauf verbunden ist, erhalten sie keine Priorität. Das betrifft viele schwere Vorerkrankungen, die schlicht übersehen werden, nur weil sie selten sind.

Damit verletzt die Coronavirus-Impfverordnung den Gleichheitssatz. Dieser hat Verfassungsrang und besondere Bedeutung gerade bei dem Schutz von Leben und Gesundheit der Menschen. Danach ist Gleiches grundsätzlich gleich zu behandeln, während Ungleiches seiner Verschiedenartigkeit entsprechend unterschiedlich behandelt werden kann. Wird ein sachgerechtes Unterscheidungskriterium gewählt, muss es gleichartig angewendet werden. Der Gleichheitssatz verlangt daher, dass alle Vorerkrankungen, die einen schweren COVID-19-Verlauf befürchten lassen, die gleiche Priorität beim Zugang zum Impfstoff erhalten.

Beispiel Mukoviszidose

Mukoviszidose ist eine angeborene, nicht heilbare, schnell fortschreitende und lebensbedrohliche Lungenerkrankung, die zu einer stark verkürzten Lebenserwartung führt. In Deutschland sind rund 8000 Patient*innen von Mukoviszidose betroffen.

Patient*innen mit Mukoviszidose sind durch COVID-19 akut gefährdet:

Stark erhöhte Hospitalisierungsrate schon bei jungen Patient*innen

Aktuelle Zahlen zeigen eine sehr hohe Hospitalisierungsrate[2].

  • Altersgruppe <18 Jahre: Hospitalisierungsrate 37% (Normalbevölkerung <2%)
  • Altersgruppe 18-39 Jahre: Hospitalisierungsrate von 49% (Normalbevölkerung <3%)
  • Altersgruppe 40-60 Jahre: Hospitalisierungsrate von 57% (Normalbevölkerung <5%)
  • Hospitalisierungsrisiko durch Mukoviszidose nach derzeitigem Stand höher als in jeder Altersklasse der Normalbevölkerung[3]

Infektionen der Atemwege als Hauptursache für verkürzte Lebenserwartung

Mukoviszidose betrifft in besonderem Maß die Lunge. Das durch eine COVID-19-Erkrankung primär betroffene Organ ist damit schon vorgeschädigt und deshalb besonders gefährdet.

  • Es gibt umfassende Evidenz dazu, dass akute Infektionen der Lunge zu irreversiblen Lungenschädigungen bei Mukoviszidose-Patient*innen führen
  • Die einzige präventive Maßnahme zur Verlängerung der Lebenserwartung besteht darin, jede vermeidbare Lungeninfektion zu verhindern.
  • Auch eine überstandene Covid-19 Erkrankung stellt ein unkalkulierbares Risiko für die langfristige, ohnehin deutlich verringerte Lebenserwartung dar.

Erhöhtes Infektionsrisiko durch ständig wiederkehrende, stationäre Aufenthalte

Mukoviszidose zwingt zu häufigen, stationären Behandlungen und führt damit zu einem erhöhten Ansteckungsrisiko.

  • Dauerbesiedlung der Lunge mit gefährlichen, häufig multiresistenten Keimen (z.B. Pseudomonas, MSSA und MRSA).
  • Regelmäßige, stationäre Krankenhausaufenthalte sind zur Gabe hochdosierter, intravenöser Antibiotika-Therapien nötig.
  • Die unspezifische Immunabwehr ist während der vielzähligen Antibiosen gestört.
  • Eine adäquate Versorgung ist nur in wenigen, spezialisierten Kliniken möglich, was in der gegenwärtigen Situation der Pandemie nicht gewährleistet werden kann.

Die durchschnittliche Lebenserwartung bei Mukoviszidose liegt dank der effizienten Bekämpfung von Infektionen mittlerweile bei 50 Jahren (vgl. Deutsches Mukoviszidose Register, Berichtsband 2019, S.39). Sie hängt neben der Beteiligung zahlreicher Organe (u.a. Leber, Gallenblase, Bauchspeicheldrüse, Darm) ganz maßgeblich von der fortschreitenden Schädigung der Lunge ab. Oberste Priorität und einzig wirksame Vermeidung einer lebensbedrohlichen Verschlechterung des Krankheitsverlaufes ist eine konsequente Verhinderung von Infektionen der Atemwege. Eine Impfung gegen das Coronavirus kann bei diesen Patient*innen maßgeblich zum Schutz und Erhalt von Lebensjahren beitragen.

Trotz dieser evidenten Umstände haben Patient*innen mit Mukoviszidose nach der Coronavirus-Impfverordnung des Bundesministers für Gesundheit keine Priorität für eine Impfung.

Impfpriorität für seltene Vorerkrankungen umsetzen

Patient*innen mit seltenen Vorerkrankungen, die mit einem hohen Risiko für einen schweren COVID-19-Verlauf verbunden sind, müssen in der Coronavirus-Impfverordnung berücksichtigt werden. Diese Gleichbehandlung ist sowohl verfassungsrechtlich gefordert als auch ethisch geboten.

Es wäre möglich und naheliegend, Mukoviszidose ausdrücklich in den Katalog der sensiblen Vorerkrankungen aufzunehmen. Da nicht alle in Betracht kommenden seltenen Vorerkrankungen ausdrücklich benannt werden können, wäre es noch sinnvoller, den schematischen Ansatz der Coronavirus-Impfverordnung durch Auffangklauseln zu ergänzen. Das ist ein übliches Mittel der Normsetzung.

Wir fordern daher, die Coronavirus-Impfverordnung wie folgt um die kursiv gesetzten Teile zu ergänzen:

§ 3
Schutzimpfungen mit hoher Priorität

Folgende Personen haben mit hoher Priorität Anspruch auf Schutzimpfung:

  1. Personen, die das 70. Lebensjahr vollendet haben;
  2. Personen, bei denen ein sehr hohes oder hohes Risiko für einen schweren oder tödlichen Krankheitsverlauf nach einer Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 besteht:
  3. Personen mit Trisomie 21,
  4. Personen mit einer Demenz oder mit einer geistigen Behinderung,
  5. Personen nach Organtransplantation,
  6. Personen mit einer schweren Vorerkrankung, bei denen nach ärztlicher Einschätzung ein solches Risiko besteht.

§ 4
Schutzimpfungen mit erhöhter Priorität

Folgende Personen haben mit erhöhter Priorität Anspruch auf Schutzimpfung:

  1. Personen, die das 60. Lebensjahr vollendet haben;
  2. Personen, bei denen ein erhöhtes Risiko für einen schweren oder tödlichen Krankheitsverlauf nach einer Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 besteht:
  3. … j)
  4. Personen mit einer schweren Vorerkrankung, bei denen nach ärztlicher Einschätzung ein solches Risiko besteht.

 

[1] STIKO-Empfehlung zur Covid-19-Impfung, Epidemiologisches Bulletin 2/2021, S. 114, 115.

[2] Online einsehbar unter: https://www.cysticfibrosisjournal.com/action/showPdf?pii=S1569-1993%2820%2930125-9

[3] Vgl. Epidemiologisches Bulletin 02/2021, Ziffer 6.1 (S. 76), Stand 14.01.2021.

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